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Im Zeitalter der neuen Pest - sind jetzt alle tätowiert ?
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Geschrieben von Tobias Heinz   
Tuesday, 08 July 2003

Manchmal denke ich mir, daß sich die Menschen während der Pest nicht viel anders gefühlt haben müssen. Überall schwarz beflecktes Fleisch. Gerade jetzt im Sommer kommt es mir so vor, als gebe es niemanden mehr, der keine Tätowierung hat.

Neulich in der S-Bahn wurde ich unfreiwilliger Zeuge eines Gesprächs unter zwei jungen Mädchen, in dem die eine, der anderen erzählte, daß Sie in der nächsten Woche volljährig würde. Dann nahm das Gespräch jedoch eine Wendung, die wohl niemand so hätte voraussehen können. Die junge Dame zog ein grell-buntes Heftchen aus dem Eastpak Rucksack, der so anscheinend zur uniformen Standardausrüstung der Teenager gehört, und in diesem Heftchen deutete sie die absurdesten großflächigen Tätowierungen aus: "Und DAS lasse ich mir dann hier (deutet auf den Hals) hinmachen, und das", ein riesiges schwarzes Monster, "kommt dann auf den Rücken und das hier (zeigt auf zwei Schlangen) lasse ich auf die Beine stechen. Zum Glück habe ich das Geld, daß mir die Omi für den Führerschein gegeben hat.".

Bis vor kurzer Zeit hätte ich bei einem Tätowierten auf einen Seemann, einen Knastbruder oder an einen Menschen aus dem sog. Milieu gedacht, heute sind die "befleckten" fast schon Normalität. Tätowierstuben schießen aus dem Boden wie Dönerbuden!

Natürlich kann man in unserer liberalen bzw. liberalistischen Welt ernsthaft darüber diskutieren, ob es erlaubt sein sollte, daß volljährige Mädchen und  Buben sich die weiße Haut mit schwarzen Monster "bemalen" lassen. Wahrscheinlich wird in wenigen Jahren auch ein lukrativer Markt für spezialisierte Ärzte entstehen, die sich auf das "schonende" Entfernen von Tätowierungen spezialisieren. Insgesamt gibt es aber zu denken, warum etwas so Radikales wie Tätowierung bei uns zur Normalität werden kann.

Nicht nur, daß die Krankenkassen für die aus misslungenen Tätowierungen herrührenden Komplikationen aufkommen - das zahlen wir immerhin alle. Daß es aber eine breite Akzeptanz unter Eltern, Lehrern, Arbeitskollegen und Arbeitgebern dafür gibt ist erstaunlich. Vor wenigen Jahren wurde schon über einen unangemessenen Haarschnitt diskutiert.

Die Frage dabei ist: hat sich dadurch etwas für die Menschen verbessert? Während bisher viele durch die Konventionen geholfen bekamen, in Ihrem Leben zu bestehen, steht heute permanent jeder vor Entscheidungen, mit denen er eventuell überfordert ist. Einfache Entscheidungen bei denen man früher einfach wie durch einen "Autopiloten" gesteuert erst garnicht auf die Idee kam, sondern es als gegeben hinnam, daß MAN SO ETWAS EINFACH NICHT MACHT.

Heute wird alles zu einer individuellen Entscheidung. Lasse ich mir eine/zwei/viele Tätowierungen stechen, lasse ich mir ein/zwei/viele Piercings machen, fange ich an zu rauchen, zu trinken oder Drogen zu nehmen? Lasse ich eine kosmetische Operation durchführen? Menschen jeden Alters werde auf Ideen gebracht und zu individuellen Entscheidungen genötigt, die früher nicht notwendig waren, und viele sind damit überfordert.

Bei einer Entscheidung überfordert zu sein, heißt dann aber in der Regel, sich an Anderen zu orientieren. An die Stelle von abstrakten, bewährten und seit Jahrhunderten etablierten Regeln treten so Fernsehen (wo jeden Tag über die absonderlichsten Monstrositäten berichtet wird, als wäre es die erstrebenswerteste Normalität) und die wirtschaftlichen Interessen der Industrie, die über gezielte Werbung die Entscheidungen beeinflußt. Systematisch ist so an die Stelle von langfristiger gesellschaftlicher Steuerung die Macht von kommerziellen Interessengruppen getreten.

Es ist erschreckend, diese ferngesteuerten Zombies zu sehen, denen die Industrie (häufig schon mit 12) eine Zigarette in die Hand gedrückt hat, die das Gesicht voller Blech haben und deren Körper die neuesten Motive aus den zahlreichen mit Werbung vollgestopften Tätowierzeitschriften verunzieren.

Oft möchte ich laut rufen: "Wie könnt Ihr nur! Selbst wenn Ihr, was unwahrscheinlich ist, diese furchtbaren Flecke in einigen Jahren nicht bereut, selbst wenn Ihr nicht an Krebs erkrankt und selbst wenn die Krater der Piercings wieder verheilen. Wie könnt Ihr Euch nur so mit Haut und Haaren - im wahrsten Sinne des Wortes - fernsteuern lassen." Doch dann bin ich wieder liberal und denke, daß jeder auf seine Art glücklich werden soll und lasse die Gestalten, von denen sich fast keiner mehr von dem anderen unterscheidet, unbehelligt an mir vorbeiziehen.

Letzte Aktualisierung ( Tuesday, 08 July 2003 )
 
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